Die Indikatoren zur Bewertung von Werbewirkung sind seit Jahren in den Marketingabteilungen etabliert. Warum zweifeln Sie daran, dass Ad Recall und Brand Awareness noch geeignet sind, die kommunikative Leistung zu bewerten?
Guido Modenbach: Wir fragen uns schon länger, ob die gängigen Indikatoren noch das abbilden, was wir eigentlich mit Werbung auslösen wollen. Die kommunikative Leistung besteht darin, Marken in Gedächtnisstrukturen zu verankern, Assoziationen damit zu verknüpfen und Relevanz in Kaufsituationen zu erzeugen. Ich behaupte, dass zumindest Ad Recall nur ein ganz schwacher Indikator dafür ist.
Warum tauchen die Recall-Werte dann auch in Ihren eigenen Studien noch immer auf?
Gerald Neumüller: Wenn es um Zeitreihenanalysen geht oder den Vergleich verschiedener Bewegtbild-Plattformen, ist es sinnvoll, Recall-Werte abzubilden. Sie werden auf dieselbe Art und Weise erhoben und für alle gleich angewendet. Das ist natürlich ein Vorteil, wenn es um die Interpretation von Unterschieden geht.
Modenbach: Aber wenn es um die zugespitzte Frage geht, was Werbung eigentlich beim Menschen auslösen soll, müssen wir die Indikatoren noch einmal kritisch hinterfragen und das Thema bei Werbungtreibenden, Media- und Kreativagenturen auf die Agenda heben. Wir brauchen ein neues Denken und Innovationen bei der Erfassung von Werbeerfolg.
Welche neuen Indikatoren sehen Sie?
Modenbach: Wir beziehen uns hier oft auf das Ehrenberg-Bass Institute, das größte Marketing-Research-Institut weltweit, und auf den Begriff der „Mentalen Verfügbarkeit“. Wenn Werbung etwas bewirken soll, muss sie gedanklich verarbeitet werden. Das Ergebnis geht über das bloße Wiedererkennen hinaus. Im Idealfall entstehen Assoziationen, die mit der Marke verbunden sind und den Kaufentscheidungsprozess positiv beeinflussen.
Assoziationen, Verankerung in Gedächtnisstrukturen – wie misst man so etwas?
Neumüller: Natürlich ist das nicht trivial und es wird kaum eine standardisierte Antwort darauf geben. Wir versuchen uns anzunähern, indem wir zum Beispiel regelmäßig in unseren Studien die Detailerinnerung miterheben. Dahinter steht die Überlegung, dass Menschen, die bestimmte Details aus einem Werbespot wiedergeben können, auch bestimmte Assoziationen mit einer Marke verbinden, die wichtig für die Kaufentscheidung sind. Die Detailerinnerung ist ein Indikator für die Verarbeitungstiefe, der sich relativ einfach mit standardisierten Methoden messen lässt.
Es kommt nicht nur darauf an, sich an eine Marke zu erinnern, man muss sich auch im richtigen Moment erinnern. Welche Rolle spielt die Relevanz in der künftigen Forschung?
Modenbach: In meinen Augen ist das ein extrem wichtiger Aspekt, der noch viel zu wenig berücksichtigt wird. Relevanz ist ein fundamentaler Treiber für den Werbeerfolg. Das Problem ist, dass die Gründe für Relevanz unglaublich vielfältig sein können.
Neumüller: Relevanz ist ein Faktor, der schwer zu operationalisieren ist. Tatsächlich hat das auch noch niemand versucht. Wir haben hier in den vergangenen Monaten gute Fortschritte gemacht und planen, das Ganze strukturiert in Forschung zu überführen.
Modenbach: Das Problem ist schon bekannt. Die drei „r“ – right message, right person, right time, gelten als Erfolgsformel im Marketing. In der Praxis führt dies aber leider oft zu einem allzu engen Targeting-Korsett. Gerade weil Relevanz so vielfältig ist, kann man im Voraus nur schwer Personen ausschließen, für die ein Produkt sicher nicht in Frage kommt. Eine breite Streuung der Werbebotschaft ist auch deshalb sinnvoll.
Wie wollen Sie das neue Denken in der Mediapraxis verankern, wo oft mehr Wert auf kurzfristige Sales-Effekte gelegt wird als auf Grundlagenforschung?
Neumüller: Die Grundlagenforschung ist von der Praxis gar nicht so weit entfernt. Manchmal muss man halt erst einmal rauf auf den Elfenbeinturm, damit man die Dinge ordentlich versteht, und dann muss man wieder runtersteigen und etwas daraus machen, womit alle arbeiten können. Uns geht es nicht um die Produktion von Vermarktungsargumenten. Wir wollen ganz konkret und praxisbezogen zeigen, wie Werbung wirkt und was man beachten muss, damit sie besser wirkt. Ihr Potenzial entfalten kann.
Modenbach: Zwischen Recht haben und Recht bekommen liegt manchmal ein weiter Weg. Der erste Schritt ist, die Zusammenhänge richtig zu verstehen und gute Begründungen zu liefern. Die Rolle von Werbung ist ja nicht nur, morgen den Umsatz zu steigern, sondern dauerhaft Markenerfolg zu gewährleisten, nachhaltig Konsumverhalten zu beeinflussen und Präferenzbildung abzusichern. Am Ende des Tages haben wir eine gute Chance, gehört zu werden, weil alle ein Interesse daran haben, Werbung erfolgreicher zu machen und den Unternehmenswert zu steigern.