Was müssen Unternehmen in ihrer Kommunikation jetzt beachten?
Dirk Ziems: Psychologisch ist das ein diffiziles Terrain. In Interviews für unseren Krisenmonitor erleben wir gerade, dass viele Menschen über den Kriegsausbruch in eine Schockstarre geraten sind. Sie können die unvorstellbar grausamen Bilder und die Folgen für unser aller Leben noch gar nicht einordnen. Andere neigen zu einer Art Relativismus. „Wir müssen gucken, dass wir uns nicht permanent runterziehen lassen“, ist eine Aussage. „Das wird schon bald wieder aufhören“, eine andere. Da wird vieles „wegrelativiert“.
Wie kommt Werbung bei diesen beiden Gruppen an?
Ziems: Die Stimmung bewegt sich zwischen Schockstarre und Relativismus. Sie kann auch schwanken je nachdem, wie die Nachrichtenlage gerade ist. Im Extremfall treffen Bilder von Rettungstrupps in ausgebombten Wohnungen auf Heile-Welt-Spots mit einer glücklichen Familie am Frühstückstisch. Manche Menschen geraten da in eine klassische Schuldverstrickung: Die Werbung zeigt uns, wie gut es uns geht und das löst in diesem Moment ungute Gefühle aus.
Kann ein Stück Normalität in dieser Situation nicht auch hilfreich sein?
Ziems: Es wäre zu einfach zu sagen, die Menschen brauchen jetzt ein bisschen heile Welt, um sich besser zu fühlen. Auf manche wirkt das unwirklich und unpassend. Diejenigen, die den Krieg eher von sich wegschieben, haben damit weniger Probleme. Allerdings wird ihre relativistische Haltung durch neue Bilder ständig herausgefordert.
Erwarten die Menschen, dass Marken jetzt Stellung beziehen?
Ziems: Die Konsumenten finden das prinzipiell gut, erwarten aber, dass den Worten auch Taten folgen. Wir alle befinden uns ja in einem Eingriffsdilemma: Wir können den Krieg nicht beenden, aber wir können helfen, spenden und Flüchtlinge unterstützen. Das erwarten die Menschen auch von Unternehmen und Marken. Dabei sind sie kritisch und fragen mehr und mehr nach Substanz. Zur Schau gestellte Haltungen werden entlarvt und inflationäres Purpose-Marketing als Masche durchschaut.
Wie sollte „Haltung zeigen“ aussehen?
Ziems: Das bloße Virtue Signaling – das Zurschaustellen moralischer Werte – ist eine Sackgasse. In den vergangenen Jahren haben sich einige Unternehmen schon fast inflationär an gesellschaftliche Anliegen drangehängt: Man ist heute für Diversity, morgen fürs Impfen und übermorgen gegen den Krieg. Darunter leiden die Glaubwürdigkeit und das Image. Die Aufgabe der Unternehmen besteht darin, nach Substanz zu suchen, konkrete Angebote aus ihrem Markenkern heraus zu entwickeln. Naheliegend sind kostenlose Telefonate von Telkos. Aber natürlich kann auch ein Baumarkt Material für ein Flüchtlingsheim spenden oder eine Food-Kette kostenlos Essen liefern. Jetzt ist Kreativität gefragt, um Purpose-Marketing mit Substanz zu versehen.
Also lieber Helfen und Schweigen?
Ziems: Man darf natürlich über Hilfsangebote reden. Aber es kommt auf die Tonalität an. Prahlen verbietet sich absolut. Wenn die Hilfe glaubwürdig und authentisch ist, spricht sich das auch so herum.
Interview: Cathrin Hegner