Neben der schwierigen Wirtschaftslage muss TV auch strukturellen Herausforderungen begegnen.
Modenbach: Natürlich sehen wir einen relativ starken Sehdauerrückgang. Die On-demand-Nutzung nimmt deutlich zu, das spüren wir auch in den Reichweiten. Die Angebotswelt ist hochgradig fragmentiert, und es wird zunehmend schwieriger für Werbungtreibende, große Reichweiten aufzubauen. Deshalb ist die Bedeutung von TV sogar noch gestiegen. Werbungtreibende sollten den Wert von TV nicht an sinkenden Reichweiten messen, sondern an der Kraft des Mediums, in einem immer stärker fragmentierten Markt große Reichweiten zu liefern. Dazu kommt auch, dass Werbung, die von TV getragen wird, einen viel größeren Impact hat als Werbung in digitalen Medien. Das haben zahlreiche Studien rund um den Globus zweifelsfrei belegt.
Wie schätzen Sie den Einfluss der wachsenden Konkurrenz durch Online-Bewegtbild, Netflix und Co. ein?
Modenbach: Der Reichweitenverlust von TV hängt auch damit zusammen, dass wir gerade auf dem Big Screen eine Menge Alternativen haben. Netflix und Co. haben dort einen Platz eingenommen, den zuvor TV allein besetzt hat. Wir sehen aber auch Extraeffekte, die alle gleichermaßen betreffen: Wir erleben eine wahre Explosion im Freizeitverhalten. Trotz Inflation nehmen die Restaurantbesuche und die kulturellen Aktivitäten deutlich zu. Einschränkungen der Pandemie werden quasi überkompensiert. Wie langfristig diese Reaktion ist, wissen wir heute noch nicht. Aber umso mehr gilt: Die Kraft von TV wird wertvoller, weil Menschen in großer Zahl schwerer zu erreichen sind.
Man kann ja auch mit Online-Bewegtbild Reichweite einsammeln und dabei weniger Geld ausgeben.
Modenbach: Die Frage ist schon, wie viel wirksame Reichweite bekommt man da zusammen? Gerade für die junge Generation gibt es kaum noch Umfelder, in denen sich alle versammeln. Eines davon ist „Germany’s Next Topmodel“. Das Format ist über alle Plattformen hinweg so gut verkauft wie noch nie in seiner Geschichte. Die Jungen schauen weniger und selektiver, und gerade deshalb haben die Angebote, die es für sie gibt, einen unschätzbaren Wert für die Werbungtreibenden. Hier kann man noch Markenthemen in die Breite des jungen Publikums hinein kommunizieren.
Die GenZ möchte in engen Austausch mit Marken gehen, sie will nicht nur mitreden, sondern auch mitwirken. Das kann TV nicht leisten.
Modenbach: Am Ende geht es darum, welche Assoziationen mit der Marke das Medium in den Köpfen etabliert. Natürlich kann man hier auch einiges im Austausch mit der Community bewirken. Aber ist das auch in der Breite machbar? Marken wachsen, indem sie Käufer:innen dazugewinnen, und eine Community ist ein geschlossener Kreis. Wenn Brands wachsen wollen, müssen sie Reichweite aufbauen. Die meisten Menschen sind sogenannte Light Buyer. Diese opportunistischen Käufer:innen müssen Marken überzeugen, um zu wachsen und dauerhaft erfolgreich zu sein, nicht die maximal Interessierten einer Community. Das sind eher heiße Buschfeuer, die schnell wieder erloschen sind.
Aber gerade die Neukundenakquise fällt in Krisenzeiten schwer.
Modenbach: Es wäre ein Fehler, sich auf die vermeintlich loyalen oder regelmäßigen Käufer:innen zu fokussieren. Das Problem ist, dass die 20 Prozent treuesten nicht für 80 Prozent der Umsätze stehen, sondern vielleicht nur für 50 oder 60 Prozent. Wenn ich mir diese 20 Prozent im nächsten Jahr ansehe, stehen sie vielleicht nur noch für 40 Prozent der Umsätze. So stellt sich Kaufverhalten im Laufe der Zeit dar: Es gibt loyale, die in die Gruppe der Light Buyer wechseln und etwas Neues ausprobieren. Auf der anderen Seite gibt es Light Buyer, die irgendwann Heavy Buyer werden. Deshalb ist man gezwungen, in die Breite zu gehen, um aus dem großen Fundament der Unentschlossenen mehr Sales zu erzeugen und zu wachsen. Und in Krisenzeiten kann die Neukundenakquise sogar günstiger sein.
Immer mehr Werbungtreibende machen sich Gedanken darüber, dass die Wirkung vor allem bei jüngeren Menschen nachlässt. Wie kann man hier gegensteuern?
Modenbach: Werbung muss effektiver werden. Es wird immer schwieriger, große Reichweiten zu erzielen, die Aufmerksamkeit sinkt, und die Leute vermeiden Werbung, wo sie nur können. Umso wichtiger wird die Frage, wie wir Werbung erfolgreicher machen können, als sie jetzt ist. Es gibt eine Unmenge nicht gut genug gemachter Werbung im Markt.
Und deshalb wirkt sie schlechter?
Modenbach: Ja, das ist eindeutig. Unsere Studie zur Mentalen Verfügbarkeit zeigt, dass es ein erhebliches Potenzial für Verbesserungen gibt. Die Menschen erkennen einen Werbefilm, sie erinnern sich, aber sie wissen nicht, für welche Marke geworben wird. Bei einigen Spots können bis zu 80 Prozent der Befragten keine korrekte Zuordnung vornehmen. Einige werben ungewollt für eine Gattung oder für die Konkurrenz. Im schlechtesten Fall zeigen sie nur einen netten Film, der überhaupt nichts bewirkt. Die zentrale Frage lautet nicht: Wie kann ich TV durch digitale Kanäle ersetzen? Sondern vielmehr: Wie bekomme ich es hin, dass Werbung mit meiner Marke verbunden wird? Darin steckt das größte Potenzial für die Werbungtreibenden.