„Das Alter wird häufig als Problem wahrgenommen”
Leonie Koch (63) ist Content Managerin bei Otto in Hamburg. Vor acht Jahren gründete sie dort das Graswurzel-Netzwerk für Generationenkooperation #experienced. Sie ist zudem Gründerin des unternehmensübergreifenden Netzwerks ChangeMaker50PLUS. Mit „Out of the Box“ spricht die promovierte Kulturanthropologin über Vorteile und Hindernisse für ein nachhaltiges Generationenmanagement.
Interview: Cathrin Hegner
Warum haben wir in Deutschland so wenig diverse Altersbilder?
Leonie Koch: Wir haben in Deutschland spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ein negatives Altersbild. Dazu hat sicher unsere West- oder Amerikaorientierung beigetragen. Die dynamische, frisch aussehende Jugendlichkeit wird gegenüber „dem Alter“ bevorzugt. Schon seit dem 19. Jahrhundert gibt es die sogenannten Lebenstreppen: Es geht in diesen grafischen Darstellungen vom Kleinkind in Zehnerschritten bis 50 Jahre stetig aufwärts und dann wieder stetig bergab. In unserer heutigen Ikonografie spiegeln sich diese negativen Altersbilder wider: Es gibt kaum ein Icon, das „die Älteren“ nicht gebeugt und am Krückstock darstellt. Medien nutzen als Symbolbild allzu gerne grauhaarige Senioren in Beige, die auf Parkbänken sitzen. Den Gegenentwurf liefern Anti-Aging-Kult und Jugendwahn; nahezu alterslose Menschen, die deutlich aktiver wirken sollen als sie chronologisch sind. Werbung und Filmkultur haben wesentlich zur Entstehung dieser Bilderwelten beigetragen.
Ist unsere Gesellschaft altersfeindlich?
Koch: Das Alter wird jedenfalls häufig als Problem dargestellt und auch wahrgenommen. Das zeigen zum Beispiel Begriffe wie „Rentner-Tsunami“ oder die Diskussionen über das Thema Pflegeversicherung. Man bekommt den kulturell stark verkürzenden Eindruck vermittelt, als seien all die alten, senilen und gebrechlichen Menschen eine wachsende Belastung für unsere Gesellschaft. Diese Narrative müssen wir ändern. Denn weder benötigen pauschal alle die höchste Pflegestufe, noch werden die gesellschaftlichen Potenziale von Menschen zwischen 60 und 90 gesehen.
Welchen Beitrag können Arbeitgeber leisten?
Koch: Sie können darauf achten, mit welchen Bilderwelten und welchen sozialen Werten sie im Personalmarketing arbeiten. Bei Themen wie Recruiting, Einstellung und Onboarding können Arbeitgeber genauer hinsehen und hinhören: Mit welchen Formulierungen gehen wir auf unseren Websites raus, mit welchem Branding? Sprechen wir alle Bewerbenden an? Verwenden wir eine alterssensible Sprache? „Junges dynamisches Team sucht …“, das ist so ein Klassiker, der nicht mehr vorkommen darf – schon seit es das Antidiskriminierungsgesetz gibt.
Was können Unternehmen noch tun?
Koch: Innerhalb der Firmen müssen bestimmte Vorstellungen ernsthaft hinterfragt werden. Sind Mitarbeitende über 50 wirklich nicht mehr lernfähig? Sind sie tatsächlich nicht digitalaffin? Sind sie immer zu teuer? Sind sie tatsächlich öfter krank? Die Daten, die solche Vorurteile revidieren können, liegen in der Regel vor – man muss nur die Bereitschaft haben, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Hier liegt eine besondere Verantwortung bei den Führungskräften, den Nutzen von Generationenvielfalt zu erkennen und damit aktiv die Leistungsfähigkeit ihrer Teams zu stärken. Es reicht nicht, sich Vielfalt und Diversität auf die Regenbogenfahne zu schreiben. Man muss diese Werte im Unternehmen gestaltend fördern und kann sie dann in der Kommunikation ganz leicht nach außen tragen. In der Werbung sind nicht nur genderdiverse und colorblinde, sondern auch altersdiverse Castings gefragt. Auch in die Produktentwicklung müssen alle Altersgruppen mit einbezogen werden. Zu oft wird dabei in Extremen gedacht: Ich will weder das neueste TikTok kennenlernen noch interessiere ich mich für das beige Großtastentelefon. Dazwischen liegen Welten, aber sie werden aus meiner Sicht zu oft übersehen.
Sie haben bei Otto schon vor acht Jahren das Graswurzel-Netzwerk #experienced gegründet. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Koch: Wir haben das Netzwerk 2017 angeschoben – damals als Initiative im Kontext des Kulturwandelprozesses, das heißt ganz unabhängig vom Diversity Management. Es gab nur wenige Angebote in der Personalentwicklung, die sich explizit an die Zielgruppen 50 plus und 60 plus gewendet haben, und demgegenüber eine starke Ausrichtung auf junge Nachwuchstalente. Wir wollten diese Jugendfixierung aufbrechen, mehr Sichtbarkeit nach innen und außen schaffen. Da haben wir schon einiges erreicht, sehen aber auch noch Entwicklungsfelder.
Welche Ziele verfolgen Sie noch?
Koch: Wir möchten zum Beispiel die Entwicklungsprogramme explizit für Mitarbeitende zwischen Mitte 40 und Mitte 60 öffnen und zudem flexible Midlife- und Late-Career-Optionen entwickeln. Dabei arbeiten wir eng mit dem Diversity Management zusammen, das Age Diversity übrigens als Fokusdimension in der DEI-Strategie von OTTO verankert hat. Für uns ist das ein toller Erfolg. Die individuelle Lebenssituation und die Motivation, nicht das Alter sind entscheidende Faktoren, um Kompetenzen und Leistung voll einzubringen. Heute erzählen auch ältere Mitarbeitende auf unseren Recruiting-Kanälen von ihrem Arbeitsalltag. Wir sind inzwischen Teil des Board of Diversity Networks, das drei Jahre später top down gegründet wurde. Otto hat diesen Kulturwandel in Richtung kooperatives Denken und Handeln, New Work, Offenheit für stetiges Lernen und digitale Transformation sowie das Aufbrechen von fachlichen Silos sehr früh explizit vorangetrieben und ist für mich damit Vorreiter unter den Großkonzernen.